Batterien enthalten: Linux Mint Debian Edition (LMDE)
Wer Ubuntu nicht mag, der nimmt Linux Mint. Dabei gibt es Mint in zwei Varianten: Die Hauptausgabe, die auf Ubuntu beruht, und eine äußerlich sehr ähnliche zweite Ausgabe, die Debian als Grundlage hat. Wenn man Debian nicht mag, nimmt man dann die Linux Mint Debian Edition? Oder nimmt man sie erst recht, weil man ein gut vorkonfiguriertes Debian in Grün möchte? Oder nimmt man es besser gar nicht, weil LMDE praktisch tot ist? Diese und andere Fragen sollen im Artikel geklärt werden.
Redaktioneller Hinweis: Dieser Artikel von mir ist erstmals in der Märzausgabe 03/2015 von freiesMagazin erschienen.
Linux-Desktop aus einem Guss
Seit 2006 gibt es die Hauptdistribution Linux Mint mit dem Ziel, ein noch leichter zu installierendes und noch besser zu bedienendes Ubuntu-Derivat anzubieten. Etwas später, 2010, kam die Debian Edition dazu. Letztere war zunächst ein Experiment, das aber viel positive Resonanz erhielt und deshalb weiter verfolgt wurde [1].
Im Gegensatz zu Ubuntu und Debian sollen bei Mint freie und unfreie Software gleichberechtigt integriert sein. Dies gilt nicht nur für den Flashplayer von Adobe, sondern auch für proprietäre Multimedia-Codecs, die bei den beiden Distributions-Müttern noch nachträglich installiert werden müssen. Linux Mint dagegen soll gleich mit der Installation gut funktionieren.
Damit die vielen verschiedenen Anwendungen reibungslos ineinander greifen, müssen sie eng aufeinander abgestimmt werden. Wo das nicht geht, sollen eigene Zusatztools das Benutzererlebnis eines einheitlichen Desktops ergänzen. Mit diesem Konzept sind die Mint-Entwickler ganz erfolgreich. Immerhin halten sie schon seit 2011 den ersten Platz unter den Linux-Distributionen auf der Seite von Distrowatch [2]. Der Platz ist verdient, da die Linux Mint-Entwickler durch die gelungene Kombination und Integration verschiedenster Software-Komponenten ein stabiles, schnelles und benutzerfreundliches Betriebssystem geschaffen haben. Der Nachteil dieses hohen Grades an Integration ist allerdings die Aktualität der Distribution und einzelner Komponenten. Hier hinkt Mint den Müttern Debian und Ubuntu hinterher.
Das wird sich in Zukunft noch verschärfen, da Linux Mint nach dem Willen seiner Entwickler seit Mai 2014 nur noch auf den Ubuntu-Versionen aufbaut, die längerfristig unterstützt werden, den sogenannten Long Term Supports (LTS) [3]. Die Aktualität der Distribution wird also zugunsten von Stabilität und besserer Integration ihrer Komponenten geopfert. Dasselbe Schicksal ereilt auch die Debian Edition, die zukünftig auf Debian Stable aufsetzen soll und nicht mehr wie bisher auf Testing [4]. Damit die Distribution nicht ganz so schnell veraltet, haben die Entwickler allerdings versprochen, wesentliche und für Anwender wichtige Desktop-Programme trotzdem hin und wieder zu aktualisieren.
Laut Clément Lefebvre, dem Maintainer dieser Linux-Distribution, soll sich Mint Apples Mac OS X als Maßstab für ein Betriebssystem nehmen [5], das wie aus einem Guss wirkt und eine einheitliches Nutzererlebnis bietet. Damit sich diese Wirkung auch unter Linux entfalten kann, wurden die Desktop-Umgebungen Cinnamon und MATE entwickelt. Durch diese beiden hauptsächlich eingesetzten Desktops wird das Erscheinungsbild von Mint und der Debian Edition stark vereinheitlicht. Wer einen anderen Desktop aus dem Repository installiert, muss möglicherweise auf Mint-spezifische Anpassungen verzichten.
MATE [6] beruht auf der Desktop-Umgebung Gnome 2, die weniger Ressourcen beansprucht als ihre Nachfolgerin Gnome 3, weswegen sich MATE sehr gut für ältere Rechnern eignet. Cinnamon [7] ist dagegen ein Fork der aktuellen Gnome-Shell [8] Beide Umgebungen sollen zusammen mit den MintTools, die unter anderem das Systemmenü MintMenu enthalten, ein einheitliches Nutzererlebnis bieten, sodass es egal sein soll, welchen der beiden Desktops man benutzt. Der Aufbau des Mint-Menüs ist am Startmenü von Windows Vista angelehnt, was Mint besonders interessant für Windows-Umsteiger macht.
Debian mit Batterien enthalten
Im Gegensatz zu den überwiegend nur aus freier Software bestehenden Distributionen Ubuntu und Debian muss man unter Mint die Codecs für verschlüsselte DVDs, für MP3s oder DivX sowie Plug-ins wie Adobe Flash und Oracle Java nicht nachinstallieren. Es ist sogar NDISwrapper für WLAN-Karten ohne eigenen Linux-Treiber vorinstalliert. Als Debian-Nutzer bekommt man mit LMDE ein fertiges System an die Hand, mit dem man nach der Installation gleich loslegen kann.
Durch die gleiche Philosophie und das gleiche Erscheinungsbild scheinen sich die Hauptausgabe und die Debian Edition von Linux Mint nicht großartig zu unterscheiden, auch wenn sie aufgrund der Softwarepakete untereinander nicht kompatibel sind. Warum also zwei verschiedene Distributionen pflegen?
Linux Mint mit Ubuntu-Basis ist mehr Mainstream und für Anfänger leichter zugänglich. Dadurch, dass es mehr Nutzer hat als LMDE, finden Anwender schnell Hilfe und Anleitungen, wie sie ein Problem lösen können. Dank der Ubuntu-Basis gibt es eine bessere Unterstützung für Treiber, Compiz und PPAs [9]. Aus diesen Gründen steht Mint mehr im Fokus der Entwickler und die knappen Ressourcen werden eher in den Hauptzweig statt in LMDE gesteckt.
Mit der Debian Edition dagegen haben sich die Mint-Entwickler von Entscheidungen der Ubuntu-Entwickler und von Canonical, der Firma, die hinter Ubuntu steht, unabhängiger gemacht. Dass dies sinnvoll ist, zeigt zum Beispiel die Entscheidung von Canonical, Lizenzgebühren von Linux Mint zu fordern [10].
LMDE verbraucht weniger Ressourcen und ist dadurch schneller als Linux Mint, besonders auf älterer Hardware und auf den ersten Netbooks. Trotz wenig Arbeitsspeicher und langsamen Prozessoren kann man sie durch die Debian Edition mit einem modernen und schnellen Betriebssystem ausstatten. Wie Debian unterstützt auch die 32-Bit Variante von LMDE Prozessoren ohne PAE [11] „out-of-the-box“ [12].
Außerdem wird Debian durch seine gemeinschaftliche Organisation mit großer Wahrscheinlichkeit noch in Jahrzehnten und länger existieren, was man von Ubuntu und anderen Linux-Distributionen, die von Firmen gesponsert werden, nicht unbedingt vermuten kann.
Die Zukunft von LMDE
Ursprünglich war LMDE als Distribution mit einem „Rolling Release“ geplant. Durch eigene Repositories sollten ständig neue Programmversionen in die Distribution einfließen. In 2011 sind die Entwickler der Debian Edition allerdings zu einem „Semi-Rolling-Release“ gewechselt, mit mindestens einem DVD-Abzug und zwei „Update Packs“ im Jahr. Das sollte eine bessere Integrität der Distribution gewährleisten und ist für Benutzer interessant, die nicht so häufig aktualisieren wollen [13]. Aber auch dieses Vorgehen fiel durch. Im März 2014 erschien das finale Update-Pack 8 bzw. LMDE 201403. Danach gab es keine weiteren Updates aus Debian Testing mehr.
Für 2015 wurde dann LMDE 2.0 mit dem Codename „Betsy“ angekündigt, das auf die nächste stabile Version von Debian 8 „Jessie“ aufsetzen wird [14]. Geplant sind Zwischenversionen von LMDE 2.x, die Sicherheits- und größere Updates bei populären Programmen beinhalten sollen. Dazu kommen noch periodisch Treiber für neue Hardware und aktualisierte Linux-Kernel. Die Entwicklung ist mit der des Hauptzweigs von Linux Mint vergleichbar, der auf LTS-Versionen von Ubuntu beruht [15].
Zur Zeit denken die Entwickler darüber nach, aufgrund knapper Kapazitäten den Entwicklungsprozess von Linux Mint 17 und LMDE 2 anders als bisher zu gestalten. Bislang war es so, dass neue Software erst in Linux Mint einfloss und dann nach LMDE portiert wurde. Das könnte zukünftig eventuell andersherum laufen, was bedeuten würde, dass LMDE ständig Updates erfährt, während die Upgrades in Linux Mint erst mit dem nächsten 17.x-Release einziehen würden [16].
Dieses Vorgehen nähme LMDE etwas von seiner Stabilität, da es zum Experimentierfeld der Mint-Entwickler werden würde. Die Entwickler gehen aber davon aus, dass die wenigen LMDE-Benutzer erfahrenere Linux-User sind, die mit Experimenten eher leben können als der Mainstream des Hauptzweigs. Wobei das Vorhaben noch nicht in Stein gemeißelt ist und sich noch ändern kann. Wenn man genau wissen möchte, wie es mit LMDE 2 in naher Zukunft weitergehen wird, kann man das in der Roadmap nachlesen [17].
Der wesentliche Punkt ist, dass auch mit Betsy dieselbe Distributions-Basis für zwei oder mehrere Jahre gepflegt werden soll, wovon sich die Entwickler eine größere Qualität versprechen. Doch größere Änderungen – außer etwas aktuellerer Software – sollte man von Betsy zukünftig nicht erwarten. Als Init-System bleibt SysVinit, der Wechsel zu SystemD wird erst einmal verschoben und könnte eventuell mit LMDE 3 kommen [18]. Einen Termin für die Veröffentlichung von Betsy fehlt ebenfalls, oder wie Lefebvre sagt: „Wie gehabt nehmen wir uns die Zeit und veröffentlichen, wenn es fertig ist.“ [16]
LMDE in der Praxis
LMDE 201403 wurde im März 2014 auf einem Samsung Netbook installiert, was auch weitgehend problemlos funktionierte. Eine der größten Herausforderungen für die Entwickler von LMDE war oder ist, dass es mehr Pflege benötigt als Linux Mint, aber weit weniger Benutzer hat. Darunter hat auch die Häufigkeit von Updates gelitten, was man schon kurze Zeit nach der Installation gemerkt hat. Die Qualität der Distribution fing an, darunter zu leiden [16].
Wenn man sich aber etwas mit Debian auskennt, kann man LMDE leicht in ein Wheezy umwandeln, sollte man es bereits installiert haben und nicht neu installieren wollen. Oder man installiert LMDE, wenn man keine Lust hat, selber Wheezy aufwendig zu konfigurieren [19]. Dazu müssen die folgende Repositories in die Datei /etc/apt/sources.list [20] eingetragen werden:
#/etc/apt/sources.list deb http://ftp.de.debian.org/debian wheezy main contrib non-free deb-src http://ftp.de.debian.org/debian wheezy main contrib non-free deb http://security.debian.org/ wheezy/updates main contrib non-free deb-src http://security.debian.org/ wheezy/updates main contrib non-free # Mint repo for FF, Thunderbird and other mint specific updates deb http://packages.linuxmint.com debian main upstream import |
Listing: sources.list
Anschließend muss noch die Datei /etc/apt/sources.list.d/official-source-repositories.list gelöscht oder umbenannt und /etc/apt/preferences.d/official-package-repositories.pref gelöscht werden. In ersterer stehen die LMDE-spezifische Repositories, in letzterer das LMDE-spezifische Apt-Pinning [21].
# rm /etc/apt/sources.list.d/official-package-repositories.list # rm /etc/apt/preferences.d/official-package-repositories.pref |
Zum Schluss wird die Umwandlung in Wheezy mit diesen Befehlen angestoßen:
# apt-get update # apt-get remove mintsystem # apt-get upgrade # apt-get dist-upgrade # reboot |
Dieses Vorgehen ist allerdings nicht unbedingt für Benutzer gedacht, die wenig Erfahrung mit Debian haben. Nach dem Neustart sollte der semi-rollende Sportwagen LMDE in einen soliden Traktor Debian Wheezy transformiert worden sein, was man sich mit der Ausgabe von lsb_release bestätigen lassen kann, wenn das Paket lsb-core installiert ist:
$ lsb_release -icd Distributor ID: Debian Description: Debian GNU/Linux 7.8 (wheezy) Codename: wheezy |
Wheezy ist stabil und wird noch eine Weile unterstützt werden. Wenn das System einfach nur laufen soll und man von Updates nur gestört werden möchte, wenn nötig, wäre die Umwandlung von LMDE in Wheezy ein möglicher Schritt dahin.
Ein weiterer Nachteil von LMDE, besonders bei mobilen Geräten, ist allerdings, dass man das System, oder wenigstens die Home-Partition nicht so einfach bei der Installation verschlüsseln kann. Wenn man auf dieses Sicherheits-Feature wert legt, muss man das selber machen. Eine Anleitung dazu findet man unter anderem im Forum von Linux Mint [22].
Fazit
Abgesehen von ein paar Ecken und Kanten und wenn man bereit ist, selber zu reparieren, was nicht mehr rund läuft, hat man mit einem zu Wheezy transformierten LMDE kein aktuelles, aber ein solides Betriebssystem, das auch auf älterer bzw. schwacher Hardware einfach läuft. Abgesehen davon ist LMDE 1 aber praktisch tot und erfährt keine richtigen Aktualisierungen mehr. Spannend bleibt daher, wie sich LMDE 2 Betsy entwickeln wird. Bislang ist unklar, inwieweit ein Upgrade von LMDE auf Betsy möglich sein wird, oder ob man LMDE 2 von Grund auf neu installieren muss. Eine erste Beta-Version von Betsy gibt es seit Februar 2015 [23]. Wenn man also LMDE 2 installieren will, muss man sich noch ein wenig in Geduld üben. Zur Belohnung gibt es dann ein LMDE mit blau und grau als weiteren Systemfarben auf dem Desktop und nicht mehr nur grün [24].
Links
[1] http://blog.linuxmint.com/?p=1527
[2] http://distrowatch.com/table.php?distribution=mint
[3] http://blog.linuxmint.com/?p=2613
[4] http://blog.linuxmint.com/?p=2671
[5] http://segfault.linuxmint.com/2014/08/upcoming-lmde-2-to-be-named-betsy/#comment-130532
[6] https://de.wikipedia.org/wiki/MATE_Desktop_Environment
[7] https://de.wikipedia.org/wiki/Cinnamon_(Desktop-Umgebung)
[8] http://blog.linuxmint.com/?p=1910
[9] https://wiki.ubuntuusers.de/Paketquellen_freischalten/PPA
[10] http://www.pro-linux.de/-0h21512d
[11] https://de.wikipedia.org/wiki/Physical_Address_Extension
[12] http://www.linuxmint.com/rel_debian.php
[13] http://blog.linuxmint.com/?p=1781
[14] http://segfault.linuxmint.com/2014/08/upcoming-lmde-2-to-be-named-betsy/
[15] http://www.golem.de/news/lmde-linux-mint-wechselt-zu-debian-stable-neben-ubuntu-1409-108945.html
[16] http://segfault.linuxmint.com/2015/02/about-betsy/
[17] https://github.com/linuxmint/Roadmap/blob/master/README.md
[18] http://blog.linuxmint.com/?p=2764
[19] https://scottlinux.com/2013/05/14/convert-lmde-to-debian-wheezy/
[20] https://wiki.debianforum.de/Sources.list
[21] https://wiki.debianforum.de/AptPinning
[22] http://forums.linuxmint.com/viewtopic.php?f=197&t=124043
[23] http://segfault.linuxmint.com/2014/08/mint-x-colors/
Geschrieben in freiesMagazin, Gnu/Linux, Publikationen